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Clean Label

Die Nahrungsindustrie reagiert auf die wachsende Abneigung der Konsumenten gegen industrielle Zusatzstoffe – mit Säuberungsaktionen auf der Packung. »Clean Label« heißt das Projekt: Ziel ist das „saubere“ Etikett. Die »Clean Label«-Bewegung will die Etiketten von Zusätzen freihalten – nicht aber die Nahrung. Für die Säuberung der Etiketten von unerwünschten Bezeichnungen setzt die Food-Industrie auch neue Chemikalien ein, die auf dem Etikett nicht genannt werden müssen. Dies ist alles streng legal.

 

„Wir bieten kennzeichnungsfreundliche Innovationen“, wirbt etwa ein Zulieferer namens Kemin Industries für seine diskreten Zusätze für „Fleisch, Geflügel, Soßen, Margarinen, Öle und Milchprodukte“.

 

»Wir helfen den Firmen, ihre Etiketten zu säubern«, versprach die amerikanische Firma Senomyx. Sie hat einen Stoff zur Geschmacksmanipulation entwickelt, der selbst nach nichts schmeckt, aber den Eindruck von süß oder salzig verstärkt und auf dem Etikett nicht genannt werden muss.

 

Firmen wie Nestlé, Coca-Cola und Campbell’s, der Suppendosenriese, aber auch der japanische Konzern Ajinomoto, weltgrößter Hersteller von Glutamat, haben schon mit Senomyx Verträge geschlossen.

 

Auch die Firma Unilever Foodsolutions, ein Zulieferer für Kantinen, Krankenhäuser, Kindergärten, wirbt ausdrücklich mit dem Kürzel »o.d.Z.« – »ohne deklarationspflichtige Zusatzstoffe«. Slogan: »Damit nur das Wesentliche auf der Speisekarte steht!« In der Werbung für diese Produkte heißt es: »Unilever Foodsolutions bietet dem Profikoch mit über 170 Produkten aus allen Sortimentsbereichen – von der Suppe bis zum Dessert – eine breite Auswahl an Produkten ohne deklarationspflichtige Zusatzstoffe. Diese Auswahl wird ständig weiter ausgebaut – für noch mehr Vielfalt bei gleichzeitig weniger Fußnoten auf der Speisekarte!«

 

Auch die Firma Dr. Oetker Professional, die Großküchen und Caterer beliefert, wirbt mit den Clean-Label-Vorzügen ihrer 120 Produkte, die „kenntlichmachungsfrei auf Speisekarten (gem. § 9 ZZulV)“ eingesetzt werden können, selbst wenn eine ganze Ladung von Zusätzen Verwendung findet, wie beispielsweise in den »Gefüllten Eierpfannkuchen mit Champignons und Butterpilzen«, wo unter anderem modifizierte Stärke enthalten ist,  (E1404, E1410, E1420, E1440, E1450, E1451) auch Natriumcarbonat (E500), als Säuerungsmittel Natriumphosphat (E339), Dextrose, Aroma, und als Emulgator Sonnenblumenlecithin (E322), auch Würze, und Hefeextrakt,

 

Vor allem Allergiker kann das natürlich vor Probleme stellen: So kann etwa der Clean-Label-Zusatz Hefeextrakt ähnliche Unverträglichkeitsreaktionen hervorrufen wie das umstrittene Glutamat.

 

Die Clean-Label-Bewegung hebt die industrielle Transformation der Nahrungszutaten auf ein neues Niveau. Es herrscht weitgehende Freiheit für die Produzenten – und eine neue Gefahrenlage für empfindliche Konsumenten.

 

Es gibt kein Zulassungsverfahren und keine Risikoprüfung. Transparenz ist nicht gegeben. Die Angaben auf dem Etikett führen völlig in die Irre. Und die Wirkungen auf den Körper sind dabei völlig ungeklärt. Clean Label ist eine rechtliche Grauzone. Und eine ganz neue Herausforderung für den Körper.

 

Denn die oft chemisch verwandelten Stoffe mit irreführender Bezeichnung können auch bei bislang allergiefreien Menschen plötzlich zu Schockreaktionen führen. Etwa bei jenen Clean-Label-Zutaten, bei denen aus Weizen neue Zusatzstoffe ohne E-Nummern kreiert werden.

 

Zum Beispiel einen Stoff namens Meripro 711, den der dänische Professor Carsten  Bindslev-Jensen, Leiter des Allergie-Zentrums im Universitätsklinikum Odense als Auslöser für einem anaphylaktischen Schock identifiziert hatte – nach längeren Recherchen und einer wenig kooperativen Anbieterseite : "Wir sind wochenlang hingehalten worden."

 

Über einen holländischen Händler kam der Professor schließlich auf einen belgischen Zusatzstofflieferanten, Tochterfirma eines britischen Konzerns namens Konzern Tate & Lyle, der das Zusatzstoffgeschäft des gleichnamigen Zuckergiganten betreibt und sich in seiner Werbung in den höchsten Tönen lobt für solche Innovationen: Das Produkt sei „ein großartiges Beispiel für unsere technische Exzellenz“.

 

Meripro 711 ist ein Emulgator, der keiner ist, jedenfalls gesetzlich nicht als solcher gilt, eine chemisch verwandelte Form von Weizen, der als Zusatzstoffersatz etwa für Kaffeeweißer konstruiert worden ist. Aber auch als Mittel, um mehr Wasser in Fleisch zu binden. Auf dem Etikett steht dann: „Weizenprotein“.

 

Und das Schönste für die Anbieter: Alles erscheint sauber. „Meripro 711“, so wirbt der Hersteller ausdrücklich, „ist als Zutat eingestuft und trägt als solche keine E-Nummer.“

 

Also: Es handelt sich um High-Tech in seiner fortschrittlichsten Form. Und dennoch wird der Zusatzstoff von den Behörden als ganz normales, herkömmliches Lebensmittel eingestuft.

 

Und diese Innovation ist weit verbreitet, sagte Professor Bindslev-Jensen: "Meripro 711 ist in ganz Europa in zahlreichen Produkten enthalten. Das Weizenprodukt könnte die Erklärung für eine Reihe von anaphylaktischen Reaktionen bei Patienten sein, die wir bisher nicht erklären konnten."

 

Es gibt eine ganze Meripro Produktfamilie. Es gibt auch Meripro 410, für Pizzateig und cholesterinfreie Salat-Dressings, und Meripro 420, für Desserts, Mousse, Milchshakes oder auch Kaubonbons, Meripro 430 für Kuchen und Füllungen, Meripro 500 für Sport Drinks, Energieriegel, Eiscreme, Meripro 705 für Fleisch, Pasteten und vegetarische Gerichte, Meripro 707 zudem für Würstchen und Tiefkühlprodukte.

 

Besonders prekär, schreibt Professor Bindslev-Jensen: Bei manchen Produkten taucht diese Form von verwandeltem („hydrolysiertem“) Weizenprotein überhaupt nicht auf dem Etikett auf – wenn in dem Produkt schon „Weizen“ enthalten ist. Mittlerweile hat er diverse Untersuchungen dazu veröffentlicht.

 

Verhängnisvoll kann ein Meripro-Erzeugnis nach seinen Erkenntnissen für Konsumentinnen sein (offenbar sind vor allem Frauen betroffen), die echten Weizen sonst gut vertragen, nur die „hydrolysierte“ High-Tech-Form nicht.